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Kulturwissenschaftliche Fakultät

Facheinheit Sozial- und Kulturanthropologie

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Das Äußere im Inneren: Konsum von Importgütern, Identitäts- und Personbildung in der weiblich-häuslichen Sphäre in Sansibar

Förderung: DFG - Deutsche Forschungsgemeinschaft

Laufzeit: Oktober 2005 bis Oktober 2012

Projektleitung: Prof. Dr. Kurth Beck

Mitarbeiterin: Dr. Paola Ivanov

Kurzbeschreibung:

Das Projekt untersucht, wie im postkolonialen Sansibar kulturspezifisch Identität und Person durch Güter konstituiert werden und welche Rolle dabei der Konsum "von weit" hergeholter Dinge, einschließlich der heutigen globalen Güter, hat. Die swahilisprachige muslimische Küstengesellschaft Ostafrikas gehört zum Typ einer innerhalb eines nicht-westlichen translokalen Beziehungsgeflechts entstandenen, sozial und kulturell weit offenen Gesellschaft, der bisher in der Erforschung des Konsums globaler Waren in Afrika unberücksichtigt geblieben ist. Die Aneignung fremder Dinge und kultureller Formen ist hier seit Jahrhunderten Teil der lokalen Praxis. Diese spezifische soziokulturelle Formation ermöglicht einen historisch differenzierten Blick auf die Artikulation von weiträumigen ("globalen") Verflechtungsprozessen und lokalisierenden Phänomenen, die in der gegenwärtigen Globalisierungsdebatte - häufig auf teleologische Weise - alternativ als Widerstand, als Weiterbestehen kultureller Differenz, als kreativer Kreolisierungsprozess oder als globale Standardisierung des Lokalen gedeutet werden. Das Vorhaben begreift das Ver-/Gebrauchen von Dingen aus handlungstheoretischer Perspektive als sozial geformte Praxis, die wiederum dazu beiträgt, Person und soziokulturelle Welt zu formen. Die Verbreitung westlicher Waren wird nicht a priori mit der Verbreitung westlicher Muster der Personbildung durch Konsum gleichgesetzt, die um die Konstituierung des von seiner Umwelt abgegrenzten modernen Individuums kreisen. Historisch zeigt sich bei den Swahili eine kulturspezifische Ausprägung der Bildung von Person und Identität durch "machtvolle", von außen kommende Dinge im Rahmen sozialer ritueller Interaktion. Die Importgüter (früher aus Asien, später auch aus Europa und Amerika) standen im Mittelpunkt von kompetitiven Festlichkeiten und besonders Übergangsritualen, in denen durch Zurschaustellung, Konsum und Redistribution die ganze Person einschließlich ihrer Körperlichkeit erzeugt wurde und die sozialen Relationen (Hierarchie und Opposition) verhandelt und erschaffen wurden. Wichtigster Bereich der Wertschöpfung durch von außen kommende Güter ist bis heute der weiblich-häusliche, d.h. das mit den höchsten Werten von Reinheit und Ehre belegte "Innere" einer islamischen Kultur. Hauptgegenstand der Untersuchung bilden deshalb die Bekleidung und Ausschmückung der Frauen und die Häuser und ihre Ausstattung, also jene Güter, denen eine strategische Bedeutung für die Bildung der Person und ihrer innersten "Hüllen" zukommt. Auf der Basis der Erfassung der alltäglichen und rituellen Konsumpraktiken wird die in der Forschung noch kaum behandelte Frage gestellt, inwieweit sich von den westlichen abweichende, auch materiell-körperlich verwurzelte lokale Muster der Konstituierung von Person und Identität durch (von außen kommende) Dinge feststellen lassen und wie sich das Verhältnis zwischen Subjekt, Objekt und gesellschaftlicher oder übernatürlicher Macht kulturspezifisch gestaltet. Es soll aufgezeigt werden, wie diese Muster mit der Einführung der neuen Güter und den gegenwärtigen wirtschaftlichen, soziopolitischen und kulturellen Transformationen interagieren und die Frage beantwortet werden, ob man heute von einer Verbreitung der (post-)modernen "Konsumkultur" und der entsprechenden Muster der Subjektbildung und sozialen Integration sprechen kann oder im Gegenteil von einer spezifischen lokalen Identitätspraxis, die nur äußerlich, durch die Verwendung der gleichen Dinge, der westlichen ähnelt. Methodisch sollen drei Ebenen der Betrachtung miteinander verknüpft werden: (1) vermittels Feldforschung die Erfassung der gegenwärtigen Praktiken und Muster der Identitäts- und Personbildung durch Konsum und des zugrundeliegenden Subjekt-Objekt-Verhältnisses; (2) mittels schriftlicher, mündlicher, materieller und bildlicher Quellen die historische Rekonstruktion grundlegender Veränderungen des weiblich-häuslichen Konsums in ihren Auswirkungen auf die heutigen Sinngebungen; (3) durch die philologische Analyse verschiedenartiger "Texte" (alltägliche Erzählungen, Dichtung und visuelle Medien, Erklärungen lokaler Spezialisten, aber auch Verlautbarungen der intellektuellen, religiösen und politischen Elite) die Erkundung des Diskurses über die Güter sowie der imaginativen und reflexiven Praktiken der Konstituierung von Person und Identität durch Konsum. Durch die Fokussierung auf die Bildung von Identität, Person und häuslichem Raum und die Hervorhebung performativer und imaginativer Zusammenhänge erweitert das Vorhaben die analytischen Perspektiven der Konsumforschung und unterscheidet sich so auch von anderen aktuellen Forschungen. Damit leistet es einen Beitrag zu einer empirisch fundierten Spezifizierung des Aneignungsbegriffs und einer angemessenen Konzeptualisierung der mit weiträumiger Verflechtung in lokalen Gesellschaften einhergehenden Transformationen, welcher die simplifizierende Dichotomie endogen-exogen überwindet und lokale Kräfte und Sinngebungen in den Mittelpunkt stellt.


Verantwortlich für die Redaktion: Nadja Bscherer

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